Überlegung zu Ein-Weisung 7

Ja, natürlich wollen wir alle Tugenden anstreben. Aber wir können wohl nicht alle gleichzeitig verwirklichen - wie wir auch nicht gleichzeitig aus einem Stück Eisen eine Sichel und ein Beil schmieden können. Ich persönlich gehe bei den "Tugenden" (steht jetzt im weiteren für mich als Begriff für AP-Aspekte, die ich nach Einsicht in die Notwendigkeit modifizieren oder auflösen und Ersetzen möchte) seit langem in der Regel so vor, dass ich eher nicht mit Hundertprozentigkeiten agiere. Ich nenne das für mich "die AP flauschig halten". Dazu ändere ich eine Verhaltensweise graduell, erlaube mir aber gelegentlich, dem alten "Laster" zu frönen. Beispiele dafür können wir uns endlos viele vorstellen. Etwa keine Schokolade mehr essen, aber einmal im Monat doch einen Schokoriegel genießen. So in der Art eben... Das Beispiel habe ich bewusst gewählt. Warum wird weiter unten deutlich.

 

Daraus resultieren aber auch Probleme. Beispielsweise das Problem des Frequenz-Maßes. Wenn ich mir etwa vornehme, im Straßenverkehr beim Autofahren nicht mehr so viel innere Wut auf die anderen Verkehrsteilnehmer zuzulassen, insgesamt entspannter zu fahren, darf ich dann noch einmal pro Stunde schimpfen? Einmal pro Tag? Einmal pro Woche? Wenn ich ansonsten dauernd geladen und fluchend im Auto sitze, ist sicher jedes Maß eine Verbesserung, aber wie viel Aufmerksamkeit muss ich für die Einhaltung meines Maßes aufbringen. Und wie leicht rutschen uns Ausnahmen und Nachlässigkeiten durch? Oder ein generell falscher Maßstab? Dazu natürlich auch das Problem der Amplitude. Ist der gelegentliche Tobsuchtsanfall legitim, wenn mir die Vorfahrt genommen wird? Oder der gemurmelte "Idiot"?

 

Technisch sind Hundertprozentigkeiten also einfacher, weil klarer.

 

Wenn jetzt aber viele Laster gleichzeitig komplett umgewandelt werden sollen, zermürbt man die AP. Jeden Morgen meditieren. Vegan leben. Dreimal die Woche Sport. Immer liebevoll sein. Keine blöden Filme kucken. Früh ins Bett. Früh raus. Mehr lesen. Weniger arbeiten. Konsumverzicht.

 

Hier greift dann mein Rat: AP flauschig halten - trotz der Maßschwierigkeiten gelegentlich mal spät aufstehen, eine Frikadelle essen, die Joggingrunde ausfallen lassen. Und der Rat von Antonios greift auch: Konzentriere dich auf die hundertprozentige Umsetzung EINER Tugend. Mache etwa JEDEN Morgen Deine Meditationsübungen!

 

Meine Erfahrung lehrt, dass sich manche Hundertprozentigkeiten tatsächlich von jetzt auf gleich umsetzten lassen. Nicht mehr rauchen funktionierte bei mir nach zwei Jahren Nikotinmissbrauch - dauerte aber bestimmt 300 tägliche Versuche. :) Ich habe aber NICHT die Dosis reduziert, um langsam runterzukommen. Müßig, noch weitere Beispiele zu nennen. Die einzelnen Punkte (Laster) sind ja auch bei jedem in Dringlichkeit und Notwendigkeit unterschiedlich gewichtet.

 

Ich erlebe aber nun gerade auch einen schwierigen Einzelfall. Vor einer Weile habe ich mich entschlossen, Industriezucker aus meiner Ernährung zu streichen. Davor fuhr ich mit "AP flauschig halten" ganz gut. Ich habe mir gelegentlich mal den erwähnten Schokoriegel gegönnt. Dann auch problemlos wochenlang nichts. "Nichts" allerdings in Anführungsstrichen, denn Zucker ist in extrem vielen Nahrungsmitteln drin. Selbst in Erbsen aus der Dose, Pizza und Senfgurken aus dem Glas. Und zwar nicht wenig!

 

Hier kommt beim Versuch einer hundertprozentigen Umsetzung zum möglicherweise zu erwartenden AP-Krampf noch das Selektionsproblem. Was kann man denn überhaupt noch essen? Und die AP kann letzteres - falls sie krampft - auch wunderbar ausnutzen. Was? Kein Schokoriegel? Aber ein Glas Bananensaft (15 Gramm Zucker pro 100 ml) kannst du doch trinken. Dazu ein Glas Senfgurken (10 Gramm Zucker pro 100 ml). Und ein konventionelles Brot (x Gramm Zucker pro 100 Gramm). Da könnte ich auch zwei Snickers zischen.

 

Den Kampf kann man aber dann auch durchziehen. Und den Versucher kennenlernen und vielleicht auch über ihn lachen. Die anderen nicht ganz so hart gezügelten Laster halten einem zumindest den Rücken frei.

 

Und wenn dann das Schwert fertig geschmiedet ist, kann man danach die Sichel angehen.

 

(Dazu könnte noch vieles angemerkt werden.)

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Kommentare: 4
  • #1

    RuFi (Sonntag, 29 Dezember 2024 12:28)

    ... Und im Gegensatz zum Handwerk des Schmiedes, das sozusagen Monotools produziert - eine Sichel, ein Schwert oder ein Beil lassen sich sehr begrenzt für etwas anderes einsetzen bzw. sind nur für eine Sache bestimmt - erweisen sich einzelne "Werkzeuge" (anfangs ausgewählte Tugenden) aus der spirituellen Schmiede als Multitools, da sie unweigerlich andere Tugenden nach sich ziehen.

    In der spirituellen Werkstatt werden Schweizer Messer produziert. ^^

  • #2

    Diana (Sonntag, 29 Dezember 2024 12:37)

    Vielen Dank Clemens, für Deine bemerkens- und bedenkenswerten Ausführungen.
    Ich hatte zu dem Spruch noch eine weitere Idee der Deutung und Anwendung.

    Ein Stück Eisen bearbeiten könnte man verstehen als die grundsätzliche Frage: Was machen wir mit und aus unserem Leben? Wie setzen wir unser göttliches Potential, unsere Fähigkeiten und Energie ein? Arbeiten wir daran, unsere rudimentären spirituellen Werkzeuge zu nutzen, weiter auszubauen und zu besseren Mitteln zu machen, die unsere spirituelle Entwicklung und Entfaltung befördern?

    Das Beil wurde historisch als Waffe und Werkzeug genutzt. Heute wird es in sehr unterschiedlichen Formen, angepasst an den jeweiligen Zweck als vielseitiges und leicht zu handhabendes Werkzeug benutzt. Das Beil führt man in der Regel mit einer Hand (außer das Beschlagbeil eines Zimmermanns) und ist eine kleinere Variante der zweihändig geführten Axt. Das Beil ist etwas, das bearbeiten, formen, öffnen, trennen, spalten, teilen kann. Übertragen auf den spirituellen Zweck könnte man das Beil als Symbol für die Unterscheidungsfähigkeit, Erkennen von Gut und Böse sehen, aber nicht nur als ein einmaliges Diagnosemittel, sondern als fortwährendes Tool am Weg-Arbeiter-Werkzeuggürtel, für fortwährend praktiziertes Erkennen und besseres Unterscheiden lernen. Mit einer Hand ergreift man ein zu bearbeitendes Werkstück/ Thema (erkennen wollen, Wille, Fokus, Motivation), mit der anderen Hand (Tatkraft, Energie) führt man das Beil, um Unterscheidungsvermögen (spalten, teilen), Erkenntnis (öffnen, trennen, freilegen) und Entwicklung (bearbeiten, formen) zu ermöglichen.
    Als Bedeutungen von Werkzeug und Waffe: Wissen ist Macht (Werkzeug). Durch kontinuierliche Wahrheitssuche und gut eingesetzt, kann diese Macht unaufhörliche Entwicklung ermöglichen (Waffe des Kriegers des Lichtes).

    Das Schwert ist eine Hieb- und Stichwaffe mit ein- oder zweiseitiger Schneide. Es hat sich historisch in Form, Material, Funktion und Aussehen sehr stark mit gewandelt. Nicht jedes Schwert, das gut aussieht und etwas „hermacht“, erfüllt auch seinen Zweck. Es war/ ist eine hohe Kunst, ein gutes, stabiles und lange einsetzbares Schwert für den jeweiligen Zweck herzustellen. Die Herkunft des Wortes „Schwert“ ist nicht ganz genau geklärt. Als etymologische Bedeutungen werden angegeben (Wikipedia, DWDS): Wehrgehänge, schwären/ eitern, schmerzen, stechen, spitz und scharf. Es ist Statussymbol und Waffe in einem und hat als spirituelles Symbol eine große Bedeutung in vielen Weisheitslehren (z. B. bei Daskalos, im Buddhismus, Hinduismus und Christentum).

    Im Deutungskontext hier sehe ich das Schwert als Mittel und Weg des fortwährenden Kampfes, des Ringens um die Verbesserung und Veränderung unserer Persönlichkeit, um Tugenden zu verwirklichen. Unterscheiden/ erkennen lernen führt zu Veränderung, da sehen wollen und gezielte Fokussierung Veränderungen einleiten und unterstützen. Das Schwert soll aber hier für das bewusste Verwirklichen und Umsetzen heilsamer Qualitäten stehen, dem rechten Ringen mit unheilsamen Elementalen, dem Beharrungsvermögen, wenn wir mitten im „feindlichen Feuer“ stehen. Das Schwert steht so verstanden auch für den stechenden Schmerz, den wir in diesem Kampf erleben, wenn wir uns ändern, Altes loslassen wollen. Die Bedeutungen „schwären/ eitern“ könnte man als den eher noch karmischeren Strang verstehen, da wir nicht an allen Stellen gleich weit in der Entwicklung sind. Für die Bereiche, wo wir noch mit schlecht heilenden unheilsamen Wunden, karmischen Druck konfrontiert sind. Diese Entwicklungsphase dauert enorm lange, mit schleichenden Übergängen und dem Phänomen, dass wir im Umgang mit dem Schwert unterschiedliche Qualitäten und Techniken gleichzeitig verwirklichen lernen müssen.

    Fortsetzung in #3

  • #3

    Diana (Sonntag, 29 Dezember 2024 12:42)

    Fortsetzung von #2:

    Und wir haben alle unterschiedliche Schwerter zur Verfügung, kleine, große, stumpfe, brüchige, zu flexible, oder aber auch gut funktionsfähige, je nach Ausprägung unserer Persönlichkeit und Entwicklung. Und unterscheiden uns auch darin, wie wir unser Schwert einsetzen. Nutzen wir unser Schwert regelmäßig in diesem Kampf, werden wir schnell bemerken, dass wir es, um es funktionsfähig zu halten, gut pflegen, schärfen und geeignet aufbewahren müssen. Wir lernen auch, wann und wie wir das Schwert sinnvoll einsetzen können und müssen.

    Vielleicht kann man in spirituellem Sinne den Spruch „Wahrheit ist ein zweischneidiges Schwert“ auch so verstehen, dass es auch um das Erkennen, Unterscheiden und Ringen um die zwei Ebenen der Wahrheit geht: Unterscheiden lernen zwischen relativer und absoluter Wahrheit, auf der relativen Ebene absolute Wahrheit erlangen und Verwirklichen lernen, die absolute Wahrheit in geeigneter Form in die relative Ebene zurückbringen. Und das als Schüler als auch als Lehrer.

    „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und es dringt durch, bis es scheidet sowohl Seele als auch Geist, sowohl Mark als auch Bein, und es ist ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“
    (Hebräer 4,12)

    Die Sichel ist ein Werkzeug zum Schneiden kleiner Mengen von Gras oder Getreide. Anders als die Sense, die einen langen Stiel und eine längere Klinge hat, mit der man im Stehen arbeiten kann, ist das Arbeiten mit einer Sichel mühsamer, nur in gebückter Haltung zu vollbringen. Die Sichel kann man als Symbol für die Ernte sehen. Man kann nur das ernten, was man gesät oder angebaut hat. Die Ernte ist so für das heutige, technisierte Verständnis mühsamer. Man muss mit Achtsamkeit vorgehen und kann immer nur wenig auf einmal abschneiden. Und man muss dann das Korn noch vom Stroh trennen und beides unterschiedlichen Verwendungen zuführen. Aber so vorgehend hat man auch die Chance, beim Ernten alles genau zu betrachten und zu erwägen. Auch Erkennen lernen, was heilsam war und was nicht. Wie gut die Ernte wirklich ist.

    In diesem Kontext steht die Sichel für den Lohn unserer Taten, die Analyse der Ernte und Planung der neuen Saat. Für das, was wir ernten, je nachdem, wie wir uns als Weg-Arbeiter bei der Vertiefung der Einsicht, der Verbesserung des unterscheidenden Gewahrsein, dem Ringen um Reinigung und Entfaltung unserer Persönlichkeit und der Verwirklichung des Erkannten eingesetzt haben und vorangekommen sind. Auch die Erntearbeit braucht Unterscheidungskraft: Unterscheiden, was Frucht und was Stroh ist. Unterscheiden und trennen, welche Frucht gut oder verdorben ist. Entscheidungen treffen und sie umsetzen (Schlechtes wegschmeißen, Schwert). Trennt man die verdorbene Frucht nicht von der guten, wird auch das Gute vergammeln und wir haben so bald weder Nahrung noch Saatgut. Manch verdorbene Frucht ist offensichtlich, manche nicht. Manche Früchte auf dem Weg müssen wir mit fortschreitender Erfahrung und Entwicklung kennenlernen, diesbezüglich erweitertes Wissen und Maßstäbe erlangen, andere, weitere Prüfungen bewältigen, um hier zu wachsen.

    Die drei Geräte Beil, Schwert und Sichel stehen in diesem Sinne für die Dreiheit der Mittel, die wir auf dem Weg benötigen, um voranzukommen. Wir müssen lernen, welches Mittel wir an welcher Stelle gebrauchen können. Wir müssen alle drei fortwährend parat haben, nutzen und pflegen. Vielleicht könnte man sie auch, ganz weit heruntergebrochen, als eine Form der göttlichen Dreifaltigkeit verstehen.

  • #4

    Diana (Sonntag, 29 Dezember 2024 12:44)

    zu #1:
    Ja, RuFi, die Entwicklung geht hin zu Multi-Tools, schönes Bild :-)